Oberurseler Stadtarchiv: Jubiläumsdaten 2026 - Teil 1


Das Stadtarchiv hat sich auf Spurensuche begeben – und ist fündig geworden! Hier ist der erste Teil der Vorschau auf besondere Jubiläumsdaten 2026. Stadtarchivarin Sylvia Goldhammer gibt einen Überblick über das Jahr 1946 und Oberursels Weg in den demokratischen Neuanfang.

 

Vor 80 Jahren

„Der SS-Staat – Das System der deutschen Konzentrationslager“ erscheint

Das Buch stellt in erschreckender Präzision die Gräuel des Konzentrationslagersystems der Nationalsozialisten dar und es sollte eines der wichtigsten Grundlagen der politischen und moralischen Aufarbeitung der deutschen NS-Vergangenheit werden. Der Verfasser, der Publizist und politische Intellektuelle Eugen Kogon, war nach siebenjähriger Haft im Gefängnis und im KZ Buchenwald als Berater der amerikanischen Militärregierung zur politischen Umerziehung der Deutschen 1945 nach Oberursel gekommen. „Umerziehung“ bedeutete Bildung in demokratischen Werten, nach amerikanischen Vorbild. Dafür wurden in den größeren Städten, wie z. B. in Frankfurt, auch die Amerikahäuser eingerichtet. Nach seiner Befreiung hatte Kogon in Weimar mit Unterstützung Werner Hilperts, den er im KZ Buchenwald kennengelernt hatte, und anderer Lagergenossen für die Psychological Warfare Division den Buchenwaldreport verfasst. Dieser Report war ein erster Sachbericht über die Verhältnisse im Konzentrationslager und diente auch als einer der Grundlagen für die Kriegsverbrecherprozesse.  Man bat ihn, diesen Bericht in ein Buch für die Deutschen umzuarbeiten. Er begann damit in Bad Homburg und beendete es im Dezember 1945 in Oberursel. Es wurde 1946 erstmalig veröffentlicht. Das Oberurseler Exemplar enthält seine Widmung für die Bürgerschaft: „Der Bevölkerung von Oberursel gewidmet vom Verfasser Eugen Kogon, Oberursel 1947.

Bild 1: Eugen Kogon als Zeuge während des Buchenwaldprozesses am 16. April 1947, Bildquelle: US Holocaust Memorial Museum, Washington DC, Foto: Chambers

Bild 2-3: Oberurseler Exemplar des SS-Staats mit Widmung Eugen Kogons für die Oberurseler Bürgerinnen und Bürger, Rechte: Stadtarchiv Oberursel

 

Wahlen in Oberursel

Am 27. Januar 1946 fanden in Oberursel die ersten demokratischen Gemeindewahlen nach dem Kriegsende statt. Mit einer Wahlbeteiligung von 81% wurden CDU und SPD in die Gemeindevertretung gewählt. Die LDP und KPD erhielten zu wenig Stimmen. Die erste Frau in der Gemeindevertretung nach 1945 war Karoline Sinai, die im Mai für die SPD nachgerückt war.

Auf Landesebene bereiteten verschiedenen Gremien eine neue hessische Verfassung vor. Die neue Verfassung sollte auf basisdemokratischer Ebene entstehen, daher wurden freie Gruppen und die Zivilbevölkerung einbezogen.  Am 1. Dezember 1946 stimmte die hessische Bevölkerung während der ersten Landtagswahl über den vereinbarten Entwurf ab.  An dieser Verfassung hatte auch eine politische Diskussionsrunde aus Oberursel ihren Anteil.

 

Der Oberurseler Kreis und die Hessische Landesverfassung

Um Eugen Kogon hatte sich ein politischer und persönlicher Freundeskreis gebildet, der viele Jahre bestehen sollte. Der Oberurseler Kreis war ein informeller Kreis mit festen und wechselnden Teilnehmern. Seine Mitglieder waren bekennende Gegner des Nationalsozialismus und kannten sich zum Teil aus dem illegalen Lagerwiderstand im KZ Buchenwald. Zu dem Kreis gehörten neben Kogon auch Werner Hilpert, Hermann Brill, Walter Dirks, Karl Heinrich Knappstein, Marcel Schulte, Hugo Stenzel oder der Jesuitenpater Hans Hirschmann. Vier von ihnen wohnten in Oberursel. Neben Kogon waren das Werner Hilpert, Marcel Schulte und Rechtsanwalt Ernst Wahl. Wahl war von Mai-Oktober 1945 Bürgermeister Oberursels gewesen. Im Hause Wahls entstanden nach den Erinnerungen Kogons die ersten Entwürfe zu Verfassungsgrundsätzen die 1946 in die Hessische Verfassung eingeflossen sind, so z. B. der Artikel 147, der das Recht und die Pflicht benennt, gegen verfassungswidrig ausgeübte öffentliche Gewalt Widerstand zu leisten.

Viele der Mitglieder waren 1946 in bedeutende politische Funktionen oder Ämter gekommen. Eugen Kogon war Berater der US-Militärregierung, 1946 gründeten er und Walter Dirks die Frankfurter Hefte, eine kritische Zeitschrift für Kultur und Politik, Werner Hilpert war u. a. stellvertretender Hessischer Ministerpräsident und Minister für Wirtschaft und Verkehr. Marcel Schulte war ebenfalls im Hessischen Wirtschaftsministerium tätig, 1949 übernahm er die Chefredaktion der Frankfurter Neuen Presse. Karl Heinrich Knappstein war als Ministerialdirektor im Ministerium für politische Befreiung für das hessische Entnazifizierungsprogramm zuständig. Hugo Stenzel war zunächst im Hessischen Innenministerium, 1946 erhielt er die Lizenz zur Herausgabe der Frankfurter Neuen Presse und Hermann Brill war Leiter der Hessischen Staatskanzlei.

 

Bild 4: Werner Hilpert, ca. 1950, Stadtarchiv Oberursel

Bild 5: Ernst Wahl, Bürgermeister 1945, ca. 1945, Stadtarchiv Oberursel

 

Das Europa-Archiv

Bild 6: Titelseite des ersten Hefts.

Während Eugen Kogon und Walter Dirks die Frankfurter Hefte herausgaben, gründete Wilhelm Cornides in Oberursel den Verlag und die Zeitschrift Europa-Archiv. Das Europa-Archiv war eine Fachzeitschrift, erschien vierteljährlich und führte Informationen zu Zeitfragen aus Politik, Wirtschaft und Kultur aus dem europäischen In- und Ausland in einer Zeitschrift zusammen. Es bestand eine enge Zusammenarbeit zwischen Cornides und Eugen Kogon, die sich beide der europäischen Idee voranstellten.  Das Europa-Archiv lieferte Zahlen, Fakten, Statistiken als Hintergrundwissen, die Frankfurter Hefte dagegen gaben politische Ideen, Leitlinien, intellektuelle Gedanken für die aktuellen Gegenwartsfragen. Der Verlag zog 1950 nach Frankfurt.

 

Antje Runge

Bürgermeisterin



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