erinnerungskultur

Sechs weitere Stolpersteine anlässlich des Jahrestages der Novemberpogrome verlegt

Sechs weitere „Stolpersteine“ wurden anlässlich des Jahrestages der Novemberpogrome 1938 in Oberursel verlegt

Am Mittwoch, 9. November 2022, anlässlich des 84. Jahrestages der Novemberpogrome von 1938, ver­legten Schülerinnen und Schüler der Feldbergschule gemeinsam mit Bürgermeisterin Antje Runge die nächsten sechs Stolpersteine.

„In dieser Nacht wandelte sich die antisemitische Diskriminierung zur offenen Verfolgung, Hemmnisse und Masken fielen, die systematische Vertreibung und Vernichtung des europäischen Judentums begann. Auch in Oberursel wurden jüdische Mitbür­gerinnen und Mitbürger verhaftet, misshandelt und nach Buchenwald deportiert. In Oberursel haben wir gestern Stolpersteine zum Gedenken an unsere früheren Oberurseler Mitbürger Eugen Rothschild, Meta Schnitzlein unter Anwesenheit ihres Enkels und Familie Kahn gelegt, die Opfer des Nationalsozialis­mus wurden. Für uns als Stadt ist es besonders wichtig, die junge Generation in die Erinnerungs­kultur einzubeziehen. Denn die Ereignisse des 9. November zeigen, dass Rechtsstaat und Demokratie keine Errungenschaften sind, die selbstverständlich sind und täglich verteidigt werden müssen,“ so Bürgermeisterin Antje Runge.

Mit dem Projekt „Stolpersteine“ wird an die Opfer der NS-Zeit erinnert, indem vor ihrem letzten selbst gewählten Wohnort Gedenksteine aus Messing ins Trottoir eingelassen werden. Viele interessierte Bür­gerinnen und Bürger und Anwohnende fanden sich während der Veranstaltung an den früheren Wohnorten der Opfer ein, nutzten die Gelegenheit zum Gespräch und Gedankenaustausch und beglei­teten die Arbeiten der Schülerinnen und Schüler.

Angelika Rieber, Historikerin und Vorsitzende der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Hochtaunus e. V., hat die einzelnen Schicksale erforscht und erläuterte gestern die Familien­geschichten der Opfer. Vor dem Haus Herzberg­straße 2A erinnert jetzt ein Stolperstein an Eugen Rothschild, Opfer des Novemberpogroms 1938. Er zog 1924 nach Oberursel und wohnte ab 1928 in der Herzbergstraße. Am 10. November 1938 wurde er in das Konzentrationslager Buchenwald verschleppt und verstarb dort am 8. Dezember 1938. Ein weiterer Stolperstein in der Liebfrauenstraße 21 B erinnert an Meta Schnitzlein. Sie lebte dort seit 1938 als Jüdin mit ihrem Mann Anton in einer sogenannten „Misch­ehe“. Am 25. Mai 1943 wurde sie als „jüdische Mischehepartnerin“ zur Gestapo bestellt, inhaftiert und am 15. November 1943 ins Konzentrationslager Auschwitz deportiert, wo sie am 20. Dezember 1943 starb. Der Enkel von Meta Schnitzlein nahm an der Verlegung gestern teil.

Vier Stolpersteine erinnern nun in der Altkönigstraße 48 an die Bankiersfamilie Kahn. Friedrich Kahn wurde im Zuge des Novemberpogroms 1938 ins Konzentrationslager Buchenwald gebracht. Freige­lassen wurde er unter der Bedingung, Deutschland sofort zu verlassen. Von der Behandlung in Buchen­wald schwer gezeichnet, reiste er zur Vorbereitung seiner Auswanderung nach Berlin und wurde dort am 3. Januar 1939 tot aufgefunden. Die Todesumstände konnten nicht abschließend geklärt werden. Die weiteren Familienmitglieder nutzten die Beerdigung zur Flucht nach Tanganjika, dem heutigen Tansania.

Die Feldbergschule in Oberursel hat die Patenschaft der Stolpersteine übernommen und das Thema im Unterricht fest verankert. So lernen die Schülerinnen und Schüler anhand der Schicksale und Biographien von Oberurseler Mitbürgerinnen und Mitbürgern aus dieser schrecklichen Phase der deutschen Ge­schichte, um zu begreifen, dass es nie mehr zu Ausgrenzung und Verfolgung aus rassistischen oder politischen Motiven in diesem Land kommen darf.

Beeindruckend war das Zusammentreffen zwischen Wolfgang Schnitzlein, dem Enkel von Meta Schnitz­lein, mit den Schülerinnen und Schülern. Im persönlichen Gespräch berichtete er von seiner Familiengeschichte und ging auf die interessierten Fragen der jungen Leute ein. Beide Seiten äußerten sich danach sehr positiv über den gegenseitigen Respekt und das Verständnis zu den Auswirkungen auf die nachfolgenden Generationen.

Musikalisch umrahmt wurden die drei Verlegungen vom einfühlsamen Geigenspiel der Schülerin Johanna Mohr vom Gymnasium Oberursel, in dessen unmittelbarer Nähe die ersten zwei Stolper­steine, Herzbergstraße 2 A und Liebfrauenstraße 21 B, zu finden sind.

Beim Vortrag von Dr. Cilli Kasper-Holtkotte zum Thema „Flucht in die unbekannte Wildnis – Jüdische Flüchtlinge in Ostafrika“, am Vorabend der Verle­gung im Kulturcafé Windrose, waren das Leben und die Flucht der Angehörigen von Friedrich Kahn vor dem Nationalsozialismus in Deutschland nach Tansania und Kenia sowie weitere Familien­schick­sale das Thema.

Rückblick

Die ersten Verlegungen von sieben Stolpersteinen in Oberursel fanden am 3. März 2022 unter Mitwirkung des Künstlers und Initiators des Projekts „Stolper­steine“, Gunter Demnig, in Oberursel statt. Inzwi­schen liegen Stolpersteine in 1.800 Kommunen Deutschlands und in mittlerweile 30 Ländern Europas. Ein Projekt, das die Erinnerung an die Vertreibung und Vernichtung der Juden, der Sinti und Roma, der politisch Verfolgten, der Homosexuellen, der Zeugen Jehovas und der Euthanasieopfer im Nationalsozialismus lebendig hält und das Schicksal der Opfer noch einmal eindringlich vor Augen führt.

„Die Stolpersteine sind ein wichtiger Teil unserer Erinnerungskultur. Dank der engen Zusammenarbeit und des Engage­ments aller beteiligten Partner, der Feldbergschule und der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Hochtaunus e. V. und durch die Mitwirkung der Initiative Opferdenkmal e. V. ist es gelungen, dieses Projekt in Oberursel ein weiteres Mal sichtbar zu machen. Ich danke allen für die wertvolleKooperation“, so Bürgermeisterin Antje Runge.

Weitere Informationen zum Projekt Stolpersteine" gibt es hier: www.stolpersteine.eu.

Antje Runge

Bürgermeisterin